Flower Sprouts, Kalettes, Kohlröschen – Dies sind die Bezeichnungen für ein neues Gemüse, bzw. für eine Kreuzung zwischen Federkohl und Rosenkohl. Nun, weder Feder- noch Rosenkohl können von sich behaupten, auf der Gemüse-Beliebtheitsskala auf den vorderen Rängen zu weilen. Trotzdem hat das englische Saatguthaus Tozer Seeds „15 Jahre harte Arbeit“ in die Forschung und Entwicklung des Gemüse gesteckt, um es nun mit Pauken und Trompeten europaweit zu vermarkten. So etwas hat es noch nie gegeben. Böse Zungen würden behaupten, dass nach so langer Entwicklungszeit nichts anderes übrig bleibt als die Flucht nach vorne. In zahlreichen Zeitungsartikeln, Essensratgebern und auf Messen ist vom ausserordenlichen Geschmack der Züchtung die Rede. Und in der Tat, kurz in Salzwasser blanchiert und anschliessend in etwas Olivenöl nur mit Salz und Pfeffer angebraten, entfalten die Sprouts ein verblüffendes Aroma, welche sogar „Wähhh-Röselichöl“-Kritiker verstummen lässt. Sozusagen erinnern bloss das Aussehen und der Name an die die Herkunft. Mit „Augen zu“ würde man das Gemüse nicht zur Rosenkohl-Familie zählen. Beim Versuch, den Geschmack einordnen zu wollen fällt mir am ehesten Mönchsbart ein.
Also, der Geschmack hat nichts mehr mit Feder- bzw. Rosenkohl zu tun, aber das Gemüse sieht aus wie ein Rosenkohl mit Federn. Woher kommt dann der Geschmack? Tozer Seeds musste sich bereits kurz nach Lancierung mit Fragen nach der Züchtungsmethode auseinandersetzen, und unweigerlich tauchte auch die Frage nach GVO auf. Tozer Seeds versichert, dass Flower Sprout „ein nicht transgenes Gemüse sei, das durch traditionelle Kreuzung und ohne gentechnische Verfahren entwickelt wurde“. So richtig abnehmen will ihnen das keiner. Zuweilen liefern sie auf Social Media Plattformen schnippische Antworten auf kritische Fragen. Bei jeder Mitteilung wird explizit auf „traditionelle Züchtungsmethoden“ hingewiesen.
Das wirft die Frage auf, was denn traditionelle Züchtungsmethoden sind. Wikipedia zählt zu den klassischen Züchtungsmethoden die Auslesezüchtung, Kombinationszüchtung, Heterosiszüchtung, Hybridzüchtung, Mutationszüchtung und Präzisionszucht.
Von Hybridzucht ist an verschiedenen Stellen die Rede. Also stimmt es, dass kein gentechnisch veränderndes Verfahren zum Einsatz kam? Jein. Transgen ist das Gemüse nicht, das heisst, es sind keine artfremden Gene beigemischt worden. Also klar kein GVO im herkömmlichen Sinn. Es wurden „nur“ Gene der beiden Pflanzen, welche aus derselben Pflanzenfamilie stammen kombiniert. Aber, zu diesem Prozess würde es in der Natur niemals kommen. Trotzdem wird die Hybridisierung von den Konsumenten als normal betrachtet, sonst wären unsere Gemüseregale längst nicht so vielfältig bestückt wie sie es sind.
Vor hundert Jahren wurde die Hybridisierung kritisch und mit Angst betrachtet, ähnlich wie heute GVO. Lässt dies vermuten, dass GVO in Zukunft eine ähnliche Akzeptanz erfahren lässt? Solange sich Gemüseforscher bei Markteinführung ihrer Züchtungen ständig rechtfertigen müssen hoffentlich nicht.