Besucht man ein Restaurant mit gutbürgerlichem Angebot, denkt man häufig, die Zeit sei stehen geblieben. Liebhaber von Cordon Bleu, Rahmschnitzeli, Wurstsalat und Ochsenschwanz kommen voll auf ihre Kosten und ältere Besucher können über alte Zeiten schwärmen. Auf der mehrseitigen Karte hat der Fleischliebhaber die Qual der Wahl, während Vegetarier unter Penne mit Tomatensauce, Rösti mit Spiegelei oder Gemüseteller wählen können. Wobei bis vor einigen Jahren ein Bohnenbündeli mit Speck umwickelt ebenso auf den Gemüseteller gehörte wie die Tatsache, dass das Gemüse in Rindsbouillon gegart wurde. Man wollte den Vegis ja etwas Feines gönnen und konnte sich partout nicht vorstellen, dass jemand ein Mahl ohne Fleisch überhaupt als genussvoll empfinden konnte.
Die goldene 3er-Regel: Fleisch – Stärkebeilage – Gemüse ist in der westlichen Welt stark verankert und wurde durch Köche wie Escoffier schon vor über 100 Jahren kulinarisch besiegelt. Danach hat man sich gefälligst zu halten, sonst stimmt die Harmonie nicht mehr. Als man in den Achtzigern mit Tofu zu experimentieren begann, hatte man endlich die kreative Lösung: Fleischersatz. Dumm nur, dass niemand mit Tofu umgehen konnte und so wuchs das Unverständnis gegenüber Vegetariern noch einmal um ein paar Stufen. Anfang 90er war es dann möglich, Seitan sauteuer in Büchsen zu kaufen. Im Sud gegart, geschnitten und konserviert. Das konnte wie Geschnetzeltes verarbeitet werden und bereitete so auch den Fleischköchen keine Mühe mehr, wenn auch immer noch mit Kopfschütteln.
Während ein paar findige Gastronomen Ende Achtziger die Gelegenheit witterten, und die ersten Vegi-Restaurants eröffneten, blieb der Kochelite nur ein mitleidiges Lächeln übrig. Das änderte sich auch nach Jahren nicht, als diese Restaurants einen ungeheuren Erfolg feierten. Die restliche gastronomische Welt schlief weiter.
Bei einer gemischten Gruppe mit Fleischessern und Vegis war immer klar, dass man NICHT in ein Vegirestaurant ging, und spätestens da hätte ein cleverer Gastronom ein Konzept entwickeln müssen, welches Vegetarier wie Fleischesser gleichermassen befriedigen würde. Der Berufsstolz liess es nicht zu.
Und heute? Seit der Liberalisierung des Gastgewerbegesetzes 1997 hat sich in und um Zürich einiges getan. Quereinsteiger haben den Markt aufgemischt und sind in Nischen gesprungen, in die gelernte Köche aus Escoffier- und Paulistolz niemals treten würden. Da wird lieber gejammert und alten Zeiten nachgetrauert. Wobei seit kurzem doch der eine oder andere gutbürgerliche Wirt zaghaft beginnt, seine Karte schrittweise zu öffnen, beispielsweise mit „veganen Weizen-Hackbällchen“ die sich auf der fleischdominierten Karte am liebsten verkugeln würden. Dass mit solchen lieblosen Fleischersatz-Angeboten keine „echten“ Vegis angelockt werden, bestätigt der Wirt mit der fehlenden Nachfrage und er wird sich wieder auf Ochsenschwanz & Co. konzentrieren und über fehlende Kundschaft jammern und alten Zeiten nachtrauern.
Dabei geht es zu heutigen Zeiten des Internets so einfach, sich über Vegetarier zu informieren, zu sehen, was die Trends sind, zu realisieren, dass mit etwas Kreativität niemand merkt, dass das Fleisch auch ohne Ersatz nicht auf dem Teller fehlt. Die Kunst liegt darin, vegetarische Gerichte so schmackhaft darzustellen, dass auch Fleischliebhaber diese Gerichte wählen würden. So verschwimmen die Grenzen und wenn der Vegi in der gemischten Gruppe mal unter seinesgleichen unterwegs ist, wird er vielleicht auch dieses Restaurant in sein Repertoire nehmen.