„Wer eine Beiz führt, muss ein selbstloser Zauberer sein, aufs Geldverdienen verzichten und sich von dem ernähren, was die Gäste auf den Platten übriglassen.“ Schrieb 1990 der Nebelspalter. Eine Weisheit, die manch ein Gastronom auch heute noch erfahren muss, trotz „Erlebnisgastronomie“ in den Neunzigern, Liberalisierung im Gastgewerbe und Lockerung von Gesetzen, trotz Trends zu Take-Away. Catering und Foodtrucks mit allesamt kostengünstigeren Strukturen als die herkömmliche Gastronomie.
Die Liberalisierung hat damals das stagnierende Gewerbe vor einem Totalkollaps bewahrt. Quereinsteiger beflügelten mit ihren Innovationen und Ideen ein Geschäft, welches die Gastronomen zu müde und ausgelaugt gar nicht mehr im Stande waren, wirtschaftlich erfolgreich zu führen.
1999 erkannte der Beobachter: „Heute wirtet, wer will. Und Erfolg hat, wer auf die Bedürfnisse der Gäste und die Zeichen der Zeit am flexibelsten reagiert. Harte Zeiten für jene, welche jahrelang durch Bedürfnisklauseln geschützt waren und darauf bauen konnten, dass die Gäste automatisch kommen.“
Kommt denn nun endlich die erhoffte Wende, oder sind alle Hoffnungen wieder verpufft? Dauernd macht das Gastgewerbe Schlagzeilen wie z.B. 2014 im Blick: „Die Krise in der Gastro-Branche nimmt kein Ende“.
Von den Innovativen aus den Neunzigern haben ein paar wenige überlebt und füllen Ihre Lokale auch heute noch wie am ersten Tag, wie beispielsweise das Bohemia oder das Iroquois in Zürich. Viele andere haben das Handtuch längst geworfen und sind mit dem knallharten Alltag der Gastronomie konfrontiert worden. Und trotzdem: Jeder, der irgendein Geschäft eröffnet, weiss, dass eine zündende Idee alleine niemals einen Erfolg garantiert – ausser im Gastgewerbe, so scheint es. Gerade hier scheint jeder selbst Experte genug zu sein, vielleicht weil man in der Rolle als Gast meint, jeden Fehler eines Betriebes sofort erkennen zu können. Wartet man einmal 5 Minuten zu lange auf die Bestellungsaufnahme ist man nicht überrascht, dass dieser Betrieb fünf Monate später schliesst. Dasselbe gilt für Einrichtung und Karte die einem nicht passen. War ja logisch, dass solche Betriebe nicht überleben können. Also macht man es selber besser. Investiert in eine teure Einrichtung, gestylte Karten und geschultes Personal – um 5 Monate später erstaunt selbst zu erfahren, dass vielleicht tiefergründigere Faktoren dazu geführt hatten, dass der Vorgänger seine Pforten schliessen musste, und auch eine Betriebsübernahme mit Konzeptänderung nicht von der Tatsache wegtäuschen, dass sich das Konsumverhalten der Gäste heutzutage stark verändert hat.
Selber kochen ist ein Trend, der in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Kochsendungen haben dazu beigetragen, dass die Kochlehre wieder attraktiv geworden ist. Kochen ist „in“, das freute das Gastgewerbe, hoffte man dadurch doch auf eine Gästezunahme. Das Gegenteil ist der Fall. Warum sollte man auswärts viel Geld liegen lassen für eine Leistung, die man selbst gut beherrscht und womit man seine Freunde beeindrucken kann? Hinzu kommt der Preisdruck der Detailhändler, welcher den Abstand zu den Grosshandelspreisen einzelner Produkte stark verringerte. Dadurch reagiert der Gast höchst empfindlich auf Preise bestimmter Produkte in den Restaurants. Der „Zauberbeizer“ kann seine Preise nicht mehr rechtfertigen, da der Privatkonsument annimmt, dass der Gastronom einen viel günstigeren Einkaufspreis als er zu berappen hat. Immerhin ist das in geschützten Branchen der Fall, da können z.B. Handwerker ihre Werkzeuge wirklich zu anderen Konditionen beziehen als der Privatkunde.
All den Warnungen zum Trotz wird es auch künftig träumerische Wirte geben, die ihre Vorstellung einer guten Beiz in die Tat umsetzen. Aus einem „Chinesen“ einen „Italiener“ machen, ihr Grossmutterrezept für Birchermüesli und Kuchen an den Kunden bringen wollen, der schnellen Laufkundschaft das perfekte Sandwich zelebrieren. Kurz: wer sich ausschliesslich auf seine zündende Idee verlässt, wird selbst erfahren, ob sich das Führen einer Beiz lohnt. Alle anderen erwachen spätestens nach Erstellen eines seriösen Businessplanes – oder wechseln schon vorher die Branche.